Dekubitusprophylaxe

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Dekubitusprophylaxe

Definition

  • Die internationale Definition von Dekubitus (nach NPUAP und EPUAP)

    • Dekubitus ist eine lokal begrenzte Schädigung der Haut und/oder des darunterliegenden Gewebes, in der Regel über knöchernen Vorsprüngen, infolge von Druck oder von Druck in Kombination mit Scherkräften

    • Es gibt eine Reihe weiterer Faktoren, welche tatsächlich oder mutmaßlich mit Dekubitus assoziiert sind; deren Bedeutung ist aber noch zu klären

Ursachen

  • Hauptursache für die Entstehung von Dekubitalgeschwüren ist Druck oder die Kombination von Druck und Scherkräften

  • Druckkräfte bewirken eine horizontale Kompression zwischen der äußeren Auflagefläche und festen anatomischen Strukturen

    • z. B. Knochen

  • Scherkräfte wirken diagonal und bewirken eine Verschiebung der Gewebeschichten zwischen Haut und Skelett

Pathogenese

  • Die Epidermis und Dermis reagieren Druck und Scherkräften gegenüber relativ widerstandsfähig

  • Das subkutane Fettgewebe und das Muskelgewebe wird deutlich schneller geschädigt

  • Welche pathologischen Vorgänge für diese Schädigungen verantwortlich sind ist noch unklar

  • Hauptsächlich werden vier Theorien diskutiert:

    1. Ischämie durch Verschluss der Kapillaren

    2. Reperfusionsschädigung

    3. gestörter lymphatischer Fluss

    4. mechanische Deformation und Zerstörung von Zellen

Fazit

  • anhand der pathogenesischen Fakten ist also festzustellen, das ein Dekubitus „von unten nach oben“ entsteht

  • diese Theorie wird auch Bottom-Up-Theorie genannt

Folgen

  • als Folge der Gewebsschädigung gibt es zwei Möglichkeiten

    1. kleine Nekrosen und Gewebstrümmer werden resorbiert und durch neues Gewebe oder Narbengewebe ersetzt

    2. die Nekrosen sind nicht resorbierbar, es kommt zur Ausdehnung und eine tiefe Wunde entsteht

Erkennen eines Dekubitus

  • nicht jede Wunde die im Bereich des Gesäßes auftritt, ist tatsächlich auch ein Dekubitus

  • mehr als zwei Drittel der als Dekubitus dokumentierten Wunden sind tatsächlich keine!

  • häufig handelt es sich um Mazerationen („Feuchtigkeitswunden“)

  • dadurch muss man gängige Statistiken kritisch sehen

Mazerationen

  • Mazerationen sind „Feuchtigkeitswunden“, die durch Feuchtigkeitsbelastung der Haut durch z. B. Schweiß, Urin, Stuhl, Wundsekrete oder andere Flüssigkeiten entstehen

  • durch die anhaltende Feuchtigkeit quillt die Epidermis auf und wird weich

  • ein weiterer Faktor ist Reibung durch Bewegung des Patienten im Bett, durch die es zu Schädigungen der Haut kommen kann

Unterscheidung Dekubitus – Mazerationen

  • es gibt drei einfache Kriterien, die die Unterscheidung zwischen Dekubitus und Mazerationen ermöglichen:

    1. Lokalisation

    2. Wundumgebung

    3. Wundgrund

Lokalisation

  • in vielen pflegerischen Dokumentationen liest man von „Dekubitus am Steißbein“

    • dies ist entweder anatomisch falsch lokalisiert worden, oder es handelt sich um eine Mazeration, die als Dekubitus dokumentiert wurde

  • ein Dekubitus entsteht nicht am Steißbein, sondern am Kreuzbein

  • am Steißbein kommt es häufig zur Flüssigkeitsansammlung zwischen den Hautfalten und es entstehen Mazerationen

Wundumgebung

  • Dekubitus

    • die Wundränder sind scharf abgegrenzt und häufig nur leicht gerötet oder hautfarben

  • Mazeration

    • die Wundränder sind meistens stark gerötet und „ausgefranst“, da die Feuchtigkeit meisten auch die Wundumgebung angegriffen hat

Wundgrund

  • Dekubitus

    • die Wunde ist schlecht durchblutet und kann bis tief auf den Knochen gehen

  • Mazeration

    • die Wunde ist gut durchblutet und bleibt oberflächlich der Dermis

Dekubitus Prädilektionsstellen (gefährdete Stellen)

  • am häufigsten entsteht ein Dekubitus an Körperstellen an denen Knochenvorsprünge spürbar sind, die durch fehlende oder geringe Fettpolster oder Muskulatur gekennzeichnet sind

    • Verteilung (Studie 1992 – 1997)

      • Kreuzbein 44 %

      • Fersen 31 %

      • Schambein 11 %

      • Trochanter 5 %

      • Beine 5 %

      • Schulterblatt 3 %

      • Hinterkopf 1 %

Weitere gefährdete Stellen

  • Nase

  • Ohren

  • Ellenbogen

  • Knöchel

  • Ränder von Verbänden, insbesondere Gipsverbände

Risikofaktoren für den Erwerb von Hautschäden

  • eingeschränkte Mobilität

  • eingeschränkte Wahrnehmung

  • verminderte Durchblutung

  • Ernährungsdefizit/ – überschuss

  • Flüssigkeitsdefizit/ – überschuss

  • Hypothermie

  • Hyperthermie

  • mechanische Faktoren

    • Reibung

  • Feuchtigkeit

  • Reizstoffe

    • Medikamente

    • chemische Faktoren

Risikoeinschätzung

  • zur Einschätzung der individuellen Gefahr für den Patienten hat sich der „Fingertest“ oder „Kompressionstest“ etabliert

  • hierbei wird mit dem Finger die Haut an einer Prädilektionsstelle eingedrückt

  • unter dieser Kompression verblasst die Stelle und soll sich nach dem Loslassen rasch wieder normal färben („nächste Pulswelle“)

  • diesen Vorgang nennt man Rekapillarisierung

  • je länger die Rekapillarisierung ist, desto wahrscheinlicher ist die Entstehung eines Dekubitus

  • es gibt verschiedene Skalen um das Dekubitusrisiko standardisiert einzuschätzen

  • diese sollen das Augenmerk auf die Entstehungsfaktoren und Warnzeichen in Verbindung mit einem Dekubitus richten

  • die bei uns am häufigsten verwendeten Skalen sind die Skalen von Barbara Braden und Doreen Norton

Klassifikationen bei bestehendem Dekubitus

  • Dekubitusgeschwüre werden nach W. O. Seiler in vier Grade und drei Stadien eingeteilt:

    • Grad 1

      • nicht wegdrückbare, umschriebene Hautrötung bei intakter Haut

      • weitere klinische Zeichen können Ödembildung, Verhärtung und eine lokale Überwärmung sein

    • Grad 2

      • Teilverlust der Haut; Epidermis bis hin zu Anteilen des Koriums sind geschädigt

      • Der Druckschaden ist oberflächlich und kann sich klinisch als Blase, Hautabschürfung oder flaches Geschwür darstellen

    • Grad 3

      • Verlust aller Hautschichten einschließlich Schädigung oder Nekrose des subkutanen Gewebes, die bis auf, aber nicht unter, die darunterliegende Faszie reichen kann

      • Der Dekubitus zeigt sich klinisch als tiefes, offenes Geschwür

    • Grad 4

      • Verlust aller Hautschichten mit ausgedehnter Zerstörung, Gewebsnekrose oder Schädigung von Muskeln, Knochen oder stützenden Strukturen wie Sehnen oder Gelenkkapseln, mit oder ohne Verlust aller Hautschichten

    • Stadium A

      • Wunde „sauber“, Granulationsgewebe, keine Nekrosen

    • Stadium B

      • Wunde schmierig belegt, Restnekrosen, keine Infiltration des umgebenden Gewebes, Granulationsgewebe, keine Nekrosen

    • Stadium C

      • Wunde wie Stadium B mit Infiltration des umgebenden Gewebes und/oder Allgemeininfektion (Sepsis)

Klassifikation nach EPUAP

  • Stadium 1

    • nicht wegdrückbare Rötung intakter Haut

    • besonders bei dunkelhäutigen Menschen können auch Hautverfärbungen, Überwärmung, Ödem oder Verhärtung Indikatoren für Stadium 1 sein

  • Stadium 2

    • Teilverlust der Haut, mit Schädigungen von Epidermis, Dermis oder beiden Hautschichten

    • der Dekubitus ist oberflächlich und manifestiert sich klinisch als Hautabschürfung oder Blase

  • Stadium 3

    • Verlust aller Hautschichten einschließlich Schädigung oder Nekrose des subkutanen Gewebes, die bis auf, aber nicht unter, die darunterliegende Faszie reichen kann

  • Stadium 4

    • ausgedehnte Zerstörung, Gewebsnekrose oder Schädigung von Muskeln, Knochen oder stützenden Strukturen, mit oder ohne Verlust aller Hautschichten

Prophylaxen auf der Intensivstation

  • das A und O der Prophylaxe von Hautschäden ist die Druckentlastung

  • so ist bei allen Patienten eine konsequente Lagerung obligat

  • im Intensivbereich ist der Patient oft durch die Schwere der Erkrankung nur eingeschränkt lagerungsfähig

  • die Lagerungsmaßnahmen müssen immer individuell geplant und umgesetzt werden

  • hierbei muss stets hinterfragt werden, zu welchen Maßnahmen der Patient fähig ist

  • bei allen pflegerischen Handlungen darf man den Zustand des Patienten und die Grunderkrankung nicht außer Acht lassen

Besonderheiten bei Intensivpatienten

  • bei der Planung und Umsetzung von Lagerungsmaßnahmen bei Intensivpatienten müssen z. B. folgende Umstände berücksichtigt werden:

    • Kreislaufverhältnisse

    • pulmonale Situation

    • ärztliche Anordnungen

      • SHT

    • große, offene Wunden

      • abdominelle Eingriffe

    • Extensionen und Fixateure

    • starke Blutungen

    • starke Schmerzen

    • Reanimation

    • Sterbebegleitung

  • es gibt immer viele Gründe, die Lagerungsmaßnahmen beim Intensivpatienten einschränken können, man sollte den Dialog mit dem verantwortlichen Arzt suchen und die Maßnahmen gemeinsam individuell festlegen

Weitere Besonderheiten beim Intensivpatienten

  • durch die Maßnahmen im Bereich der Intensivbehandlung des Patienten gibt es viele weitere Körperstellen an denen der Patient gefährdet ist Hautschäden zu erwerben

  • einige Beispiele:

    • Tubus

    • Ernährungssonden

    • Drainagen

    • Temperatursonden

    • Zugänge

      • Cave:

        • Folienpflaster

    • Harnwegskatheter

    • Verbände/Pflaster

    • Darmrohre/Stuhlgangsdrainagesysteme

    • Monitorkabel

    • Lagerungsschienen/Fixateure

Fazit

  • oft sind es die Pflegenden, die bei der Patientenbehandlung auf drohende Hautschäden und entsprechende Gegenmaßnahmen hinweisen müssen

  • bei allen Patienten sollte es das Ziel sein, Hautschäden zu verhindern

  • auch bei Patienten, die scheinbar „nicht lagerungsfähig“ sind, gibt es Möglichkeiten zur Druckentlastung der Haut

Möglichkeiten

  • Hautinspektion

  • Weichlagerung mit Antidekubitssystemen

  • Mikrolagerungen

  • lückenlose Dokumentation

  • regelmäßige Verbandwechsel/Verbandkontrolle

  • angepasster Bettwäschewechsel

  • Hautpflege

Therapie

  • hat ein Patient einen Dekubitus erworben, gelten zur Zeit folgende Therapieempfehlungen:

    • sofortige Druckentlastung der betroffenen Stelle

    • feuchte Wundbehandlung mit Hydrokolloidverbänden

    • ggf. chirurgische Nekrosenabtragung

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